Christine Mayr | Face and Faceless

7. April bis 12. Mai 2022

Christine Mayrs Kunst fußt in ihrer Ausbildung an der Universität für angewandte Kunst in Wien im Fach Bildhauerei bei Wander Bertoni. Die Künstlerin beginnt schon in den 80er Jahren sich mit der Vielschichtigkeit des Heranwachsens, Kindseins, Mutterseins und schlichtweg des Menschseins auseinanderzusetzen. Ihre Zeichnungen und Skulpturen sind sensibel, einfühlsam, mutig, provokant und direkt in einem. Die Figuren eint eine besondere Disharmonie, in ihren Köpern wie in ihren Ausdrücken. Die physischen Proportionen stimmen oft nicht überein, ein junger Körper trägt ein erfahrenes Gesicht, Geschlechter sind nicht klar zu erkennen – doch all das muss nach Mayr auch nicht klar lesbar sein. Denn es geht nicht um genaue Zuschreibungen, sondern um allgemein menschliche Erfahrungen und Gefühle.

Im Zentrum der Ausstellung steht die Serie „Faceblind“, in der sich die Künstlerin dem Thema der Gesichtsblindheit widmet. Mayr versucht diese besondere Form der Wahrnehmung in ihrem Werk darzustellen und den Betrachter:innen einen Eindruck zu geben, wie gesichtsblinde Menschen ihre Umwelt wahrnehmen. In dieser Werkserie greift die Künstlerin meist auf das Medium der Zeichnung zurück. Die Figuren sind vom Scheitel bis zum Schulteransatz gezeigt und alle haben gemeinsam, dass ihr Gesicht verdeckt oder unkenntlich ist. Dies geschieht auf unterschiedliche Weise – durch Hände oder Objekte, die vor das Gesicht gehalten werden oder die Gesichter sind verzerrt, haben keine Augen, viele Münder etc. Dadurch bekommt jede Figur einen besonderen Charakter und es entsteht ein sehr diverses Bild des Verdeckens und Anonymisierens. Auf der einen Seite stehen Mädchen, die sich hinter einem Blumenstrauß oder Drink verstecken und einen sehr verspielten Eindruck machen. Andererseits finden sich Figuren ohne Augen, mit weit geöffnetem Mund, vielen Zähnen oder verbundenen Augen, welche wiederum verletzlich oder gar unheimlich wirken.

Mayrs plastische Arbeiten sind aus Keramik geformt und teilweise bemalt oder glasiert. Trotz der harten, rauen Oberfläche wirken die Figuren sehr menschlich, es entsteht der Eindruck, als würden sie direkt mit uns interagieren und in Kontakt treten. So scheint es, als würde sich das kleine Mädchen (oder Junge) gerade vor uns auf den Boden kauern und die Arme über dem Kopf zusammenschlagen oder die Frau uns in diesem Moment mit festem Blick ihre blutende Vulva offenbaren. Dadurch kann im:in der Betrachter:in schnell auch ein Gefühl des Unbehagens entstehen. Man stellt sich die Frage: Möchte ich mich diesem Wesen, dieser Figur nun widmen und mich mit ihr auseinandersetzen? Nun, die Antwort muss jede:r selbst treffen, jedoch ist ein genauer Blick in jedem Fall lohnenswert – erst dann treten die raffinierten Details sowie die außerordentliche Körperlichkeit der Figuren in den Vordergrund.

Face and Faceless – der Titel der Ausstellung stimmt uns schon auf die Werke der Künstlerin ein. Der:die Besucher:in begegnet Frauen, Männern, Mädchen und Buben, manche von ihnen haben ein Gesicht, viele haben keines. Sollen wir ihnen eines geben? Auf welche Weise diese Begegnung stattfindet ist uns überlassen – in einem flüchtigen Zusammentreffen oder einer tiefen Auseinandersetzung.

 

Text: Selin Stütz