Petra Lupe | tabula rasa
PARALLEL VIENNA 2022
6 - 11 Sept 
Semmelweisklinik, Wien
Haus A, 3. Stock, Raumnummer A302

 

"Vermutlich ist in der Leere ein Maximum an Fülle enthalten"
(Lupe 2022)
 
Wenn an dieser Stelle von tabula rasa (abgeschabte Tafel) gesprochen wird, ist nicht die von den alten Philosophen vorgestellte Seele des Neugeborenen gemeint, die gleich einem unbeschriebenen Blatt das Licht der Welt erblickt. Vielmehr ist hier von einer Leere die Rede, die eine gewisse Grundtönung aufweist. Wir wissen heute um ein Kollektives Unbewusstes, genetische oder systemische Dispositionen, die jeglichem in die Welt kommen von Beginn an eine gewisse Prägung aufzwingen. In diesem Sinne gedacht gleicht tabula rasa einem Paradoxon, insofern seine Leere bereits in Grundzügen befüllt ist.
 
Petra Lupe kann nicht umhin in ihre Präsentation den Ort - die Semmelweis Frauen-Klinik als ehemaligen Ort des Gebärens - miteinzubeziehen, sich seiner Grundtönung, seiner Prägung anzunehmen und diese im Gezeigten thematisch aufzugreifen.
 
Betritt man den Raum, stechen der*dem Betrachter*in vorerst zwei symbolträchtige Merkmale ins Auge, einerseits ist dies die Form des Kreises, wobei sich Lupes open circles durch ihre offene Kreisform auszeichnen. Andererseits findet man die Farbe Rosa, an die Reinheit des Neugeborenen erinnernd.
 
Die präsentierten Papierarbeiten offenbaren auf den ersten Blick nur ihre Form, erst bei genauerer Betrachtung treten die unterschiedlichen Prägungen zu Tage, die schließlich in färbigen Acrylglasobjekten ihre ganze Kraft entfalten. Die Farbe setzt sich fort an den gezeigten schematischen Aktfotografien, welche an die Verletzlichkeit des Menschsein erinnern. Schließlich wird diese Wand von zwei großen Leinwandarbeiten IN UTERO dominiert, die in ihrer Tönung und Schichtung dem Inneren der Gebärmutter nachempfunden sind.
 
Letztendlich versteht Lupe den künstlerischen Prozess selbst als Akt des Gebärens. Verortet zwischen Fülle und Leere, besteht das eigentliche Kunststück darin, ihm nur so weit einen persönlichen Stempel aufzudrängen, dass sich nach wie vor eine kollektive Wahrheit wiederfindet, in der sich der*die Betrachter*in spiegeln kann